Unter der Leitung der Heiligen Alexandra

Heiligen_Alexandra

Die russisch-deutsche Geschichte wird in Leipzig nicht vergessen sondern geehrt

Leipzig ist eine ungewöhnliche Stadt in Deutschland. Kulturgeschichtlich nimmt sie für die Beziehung zwischen Russland und Deutschland eine besondere Stellung ein: hier begegneten und tauschten sich die beiden Länder in den Bereichen Kultur, Aufklärung und Philanthropie aus. Deshalb ist die Entstehung und Entwicklung des Wohlfahrtsvereins der Heiligen Alexandra – genannt nach der letzten russischen Zarin, die für ihre Gerechtigkeit und Leiden heiliggesprochen wurde – kein Zufall.

 

Im Gegensatz zu den herkömmlichen Integrationszentren in Deutschland stellt der Verein der Heiligen Alexandra etwas Besonders dar. Er wurde im Jahr 2000 von der orthodoxen Kirche der Heiligen Alexis in Leipzig gegründet. Die Kirche wurde vor 100 Jahre anlässlich des Jahrestags des berühmten „Kampfs der Nationen“ im Jahr 1813 erbaut, in dem Napoleons Armee besiegt wurde. In diesem Schicksalsjahr wurden 22 000 russische Soldaten getötet! Dieses Ereignis wird für immer in den Erinnerungen der Stadt bleiben. Das ist der Grund, weshalb die Geschichte über diesen ungewöhnlichen russischen Verein ohne Ausflug in die Stadtgeschichte von Leipzig unvorstellbar ist. Der historische Aspekt der russisch-deutschen Beziehungen steht im Vordergrund der Arbeit des Vereins der Heiligen Alexandra. Hier ehrt man und erinnert sich an die Traditionen der beiden Kulturen. Dabei wird deutlich, wie viel Gemeinsamkeiten diese zwei Völker haben. Lediglich dank dem großen Kampf der Nationen in Leipzig sind Deutschen und Russen für immer als Verbündete in die Geschichte eingegangen. Damals, als sie gemeinsam gegen Napoleons Armee kämpften, war es ihnen gelungen, den Feind aus Europa zu vertreiben. Die vereinten Streitkräfte der Deutschen, Russen, Österreicher und Preußen erlangten einen glänzenden Sieg, der das Rad der Geschichte drehte. Jeder russische Mensch kennt die berühmten Strophen aus dem Gedicht des russischen Dichters Puschkin: „Vergeblich wartete Napoleon, dass Moskau sich kniet“. Ebenso vergeblich wartete er drauf, dass Leipzig sich unterwarf. Die Auswirkungen des „Kampfs der Nationen“ waren entscheidend für das Schicksal Europas insgesamt.

 

In einem Gespräch berichtet uns Nadezhda Oppenländer, die Leiterin des deutsch-russischen Vereins der Heiligen Alexandra, über die spannendsten Projekte sowie über das alltägliche Leben und die Feierlichkeiten des bekannten russischen „Vereins“ in Leipzig.

 

- Unser Verein ist eine Art Bindeglied zwischen Russland und Deutschland, der beide Nationen, beide Kulturen mit Rückblick auf ihre Vergangenheit und Übergang in das moderne Leben verbindet. Die Geschichte Leipzigs wirkt in ihrer Wurzel bis heute und zählt als die Grundlage für die Entstehung und Entwicklung unseres Zentrums. Unsere Aufgabe besteht darin, verschiedene Kulturprojekte in russischer und deutscher Sprache zu verwirklichen. Vor kurzem wurde unser Buch „Die Russische Welt in Leipzig“ herausgegeben, die wir selbst verfasst haben. Die Monographie erzählt über die Geschichte dieser einzigartigen Stadt, einschließlich der Periode bis zum Ersten Weltkrieg, als die musikalischen und kulturellen Beziehungen zwischen Leipzig und Russland noch sehr eng waren. Das Buch wurde von den Mitarbeitern unseres Vereins unter der Leitung unseres „alten“ Freundes, Professors der Slawistik, Erhard Hexel Schneider, geschrieben. Ferner haben wir anlässlich des 300. Jahrestages des Kampfs der Nationen in 1813 bei Leipzig, die Broschüre „Die Russischen Kriege während des Kampfs der Nationen“ veröffentlicht. Heute wird unsere Stadt von den zahlreichen Denkmälern, die mit diesem historischen Ereignis assoziiert werden, geschmückt, während viele Straßen entweder den Namen des berühmten Kampfs tragen oder nach den Namen der Kriegshelden genannt wurden. Die „Bennigsenstraße“ ist zum Beispiel nach dem Grafen Benn Igsen benannt worden. Er war seit 1773 der General der russischen Armee. Als Oberbefehlshaber der russisch-polnischen Armee zeichnete er sich besonders durch seine Kämpfe um die Leipziger Stadtteile „Paunsdorf“ und „Sellerhausen“ aus, wofür er die Grafenwürde des Russischen Imperiums verliehen bekam.

Insgesamt zählt Leipzig zu den internationalen Städten Deutschlands. Bekannt wurde es dank der Messe, zu der Handelsleute aus der gesamten Welt strömten. Da Leipzig auf der Kreuzung der Handelswege lag, wurde das Schicksal der Stadt von vornherein für seine Zukunft bestimmt. Zu den Zeiten als Deutschland in BRD und DDR geteilt wurde, hat man gerade in Leipzig nicht per Zufall die zweite Niederlassung der Russischen Botschaft eröffnet. Schon früher war die Russische Zarin Katarina die Zweite damit beschäftigt, die russisch-deutschen Beziehungen aufzubauen und schickte sogar Studenten nach Leipzig, damit sie Diplomatie studieren. Nach und nach entstanden in der Stadt russisch-orthodoxe Kirchen.

 

- Nadezhda, Ihr Verein ist eng mit der Geschichte verknüpft. Auf welche Art und Weise beziehen sich Ihre Aufgaben in diesem Bereich auf die Arbeit mit Immigranten?

Jeden Monat organisieren wir Ausflüge in verschiedene Orte. Wir bereisen zahlreiche Städte quer durch Deutschland, vor allem die, die mit der Vergangenheit der Zarenfamilie verbunden sind. In diesem Jahr waren wir in Coburg, wo der russische Zar Nikolai und Alexandra sich verlobten. Damals war es immer wieder der Fall, dass das Schicksal Deutschland und Russland durch die Eheschließungen von Baronen und Baronessen vereinte. In fast jedem deutschen Fürstentum lebten Prinzessinnen, die nur in die gleiche Klasse heiraten durften. Oft suchten die bemerkenswerten Bräutigame aus den Königshäusern nach ihren Bräuten in fernen Ländern. Ihre Suche endete meistens mit der Hochzeit einer Prinzessin aus Deutschland. Darüber hinaus ermöglichte der protestantische Glaube nach der Heirat den Übergang zu einem anderen Glauben. In diesem Zusammenhang ist die Geschichte der russischen Zarin Alexandra, deren Namen unser Verein trägt, sehr berührend. Sie hat ziemlich lange gezweifelt, ob sie Nikolai heiraten sollte, als ob sie ihr tragisches Ende gespürt hätte. Sollte sie auf ihren Glauben wegen der Liebe verzichten, oder die Liebe wegen des Glaubens lassen? Sie entschied sich für die Liebe.

 

 

- Im Verein hört man häufig Musik spielen…

Wir machen unsere Auftritte mit Konzerten nicht nur im Verein, sondern auch auf zahlreichen Bühnen der Stadt. Im Verein wurde der Chor „Slavia“ gegründet. Dem gesamten „russischen Leipzig“ ist bekannt, dass der Verein der Heiligen Alexandra den musikalischen Programmen viel Aufmerksamkeit widmet. Jährlich veranstalten wir im Rahmen der „Woche der vielen Kulturen“ ein Folklorefestival. Mit Hilfe des Vereins werden Konzerte des Kinderensembles der Kazakh Liedern die „Lebenden Antike“ organisiert, und viel andere Vorführungen. Unser aktuelles Programm „Auf den Notenspuren zwischen Leipzig und Russland“ besteht aus einer Reihe von Konzerten: Auf den Bühnen der Stadt (in den Konzerthallen der „Großen Bibliothek“ und der „Alte Börse“) wird klassische Musik sowohl für das russische als auch deutsche Publikum gespielt, nämlich die Werke von herausragenden Pianisten und Komponisten wie Rubinstein und Tschaikovsky. Im Oktober dieses Jahres gibt es ein Konzert, das den genialen russischen Komponisten Rakhmaninov und Skrjabin gewidmet ist. Wir tun alles dafür, damit unser Publikum die Musik aus verschiedenen Epochen genießen kann. Auf unseren Konzerten spielen nicht nur deutsche Künstler, sondern auch die russischsprachigen Absolventen des Leipziger Konservatoriums. Elena Tokar, der aufgehende Stern der Leipziger Oper und Gewinnerin zahlreicher Musikwettbewerbe in Deutschland, ist eine einzigartige Sopranistin. Oder nehmen wir Igor Grischin, unseren Landsmann aus Kharkov, der schon als Kleinkind ein Wunderkind bezeichnet wurde. Als er noch klein war, absolvierte er das deutsche Konservatorium und jetzt zählt er zu den bekanntesten Pianisten Deutschlands. Igor und Elena treten oft auf den Konzerten gemeinsam im Namen des Vereins der Heiligen Alexandra auf.

 

 

- Man spricht von der besonderen Aufmerksamkeit Ihres Vereins gegenüber der älteren Generation.

- Wir organisieren regelmäßig Deutschunterricht für Rentner. Es ist doch bekannt, dass sich die Menschen im Alter ziemlich schwer mit dem Erlernen von Fremdsprachen tun. Außerdem werden von uns die Themenabende für sie organisiert. Im September dieses Jahres bieten wir Vorlesungen zum Thema „Goethe und Schiller in Leipzig“ an. Die Zuhörer erfahren, wie Goethe in Leipzig studierte und seinen unsterblichen „Faust“ zu schreiben anfing. Wir erzählen über das Leben und Werk von Schiller. Diese Art von Veranstaltungen hat einen großen Erfolg unter den Menschen im Rentenalter, die in unserer Stadt leben.

 

- Außer Lehr- und Musikveranstaltungen, gibt es noch weitere für die meisten Integrationszentren in Deutschland relevanten Aktivitäten, die vom Verein der Heiligen Alexandra angeboten werden?

-- Selbstverständlich. Wir bieten sowohl deutsche Sprachkurse als auch Computerkurse an und helfen den Schülern bei ihren Hausaufgaben. Es gibt im Verein eine Samstagsschule, eine Gruppe für die Frühentwicklung von Kindern ab 1,5 Jahren, ein Theaterstudio, Tanzen, Malen, Gesangunterricht, Englisch, Einzelunterricht in Physik, Mathe und weitere Beschäftigungen. Alle unsere Lernangebote werden von qualifizierten Lehrkräften durchgeführt. Und wir haben noch eine weitere Besonderheit: Jedes Jahr im Sommer organisieren wir Kindercamps, die ein bestimmtes Programm enthalten. Sogar Kinder aus Russland besuchen unsere Camps. In einer gemischten Gesellschaft lernen sie erstaunlich schnell die Sprache: Russisch oder Deutsch, je nach dem. In diesem Jahr bot unser Camp im Rahmen der thematischen Projekte den Kindern professionellen Tanzunterricht im Genre der verschiedenen Epochen an. Die Kinder waren begeistert. Wo sonst kann man gleichzeitig die Grundschritte von Walzer, Menuett, Hip-Hop oder Charleston tanzen lernen?

 

-Was hat Sie – als Philologin und Musikerin von Beruf – dazu bewegt, im Bereich der öffentlichen Aktivitäten und sogar bei der Politik tätig zu werden?

Die Umstände waren einfach so. Ich bin schon seit langem die Älteste in der orthodoxen Kirche der Heiligen Alexei. Dies waren meine ersten Schritte zu dem, was ich jetzt im Leben erreicht habe. Das Lebensschicksal hat mich mit dem Verein der Heiligen Alexandra zusammengeführt, bereits seit Jahren. Seit einiger Zeit gehörte ich das Mitglied des Integrationsrats für Ausländerangelegenheiten der Gemeindebehörde an. Und seit 2010 bin ich das führende Mitglied des Verbands russischsprachiger Eltern in Deutschland. Als nach dem Mauerfall eine neue politische Struktur vorhanden war, hat unser Verein mit aufrichtiger Freude darauf reagiert. Denn die Projekte, die sich auf die Arbeit mit Kindern und Eltern fokussieren, sind schon immer unsere Zentralaufgabe gewesen. Das deutsche Bildungssystem unterscheidet sich von dem russischen. Und das ist gerade das, was die Eltern aus Immigrantenfamilien lernen sollen, dank der vom Verband russischsprachiger Eltern organisierten Angebote. Da wir die Mitglieder dieses Verbands sind, wurde uns eine einzigartige Gelegenheit gewährt, unmittelbar die russischsprachige Welt international zu vertreten, aber auch politisch auf der Bundesebene tätig zu werden; von unseren Kollegen aus anderen Integrationszentren Neuigkeiten und Ideen, wie man verschiedene Projekte realisiert, zu lernen, sowie unsere Erfahrungen auszutauschen. Wie man so schön sagt, jetzt kann man sich zeigen und auf die anderen schauen. Der Verband hat ein nobles Ziel, denn mit seiner Unterstützung können wir den Kindern und Jugendlichen aus Immigrantenfamilien gleiche Ausbildungs- und Arbeitschancen anbieten. Im diesem Sinne tun wir alles dafür, damit diese Kinder unter gleichen Bedingungen wie die Einheimischen in Deutschland integriert werden. Die Entstehung des Verbands beweist noch einmal, dass Deutschland ein Demokratieland ist, in dem die Immigranten die Möglichkeit bekommen, gehört und verstanden zu werden. Was kann für uns alle noch wichtiger sein, als wenn man verstanden und anerkannt wird?

                   

Das Gespräch wurde von Jana Franz geführt.

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